Meraner Frühling
2015 – Art & Nature
Hommage an ein Naturdenkmal im Elisabethpark von Meran
Zahlreiche Bäume in Meran stehen als Naturdenkmale unter Schutz. Sie sind stämmige Wegmarken der Stadtgeschichte, aber kaum jemand weiß, wo sie zu finden sind. Man erkennt sie an den Schildern, die sie als geschützt ausweisen, und an den teils ausgehöhlten Stämmen, die im Inneren mit Hilfe von Stangen oder durch Seile stabilisiert werden. Die alte mit Bäumen verbundene Symbolik – Lebensbaum, Weltenachse, Mittler zwischen Himmel und Erde – haben sie weitgehend eingebüßt.
Einem Exemplar davon schenkt die Künstlerin Margit Klammer durch ihre Intervention im Rahmen des Meraner Frühling „Art & Nature“ besondere Sichtbarkeit. Es handelt sich um eine 200 Jahre alte Graupappel im Elisabeth-Park, ein Baum von 2 Metern Durchmesser, heller Rinde und breitem Geäst.
Die Künstlerin zieht der Pappel ein dunkles, halbtransparentes Barockkleid aus Chiffon mit Reifrock an. Der Baum wird personifiziert, er wird zur festlich, gekleideten Frau. „In mageren Zeiten“, sagt die Künstlerin, „sehnen sich die Menschen nach Fülle“
Der Stoff ist Formen der vegetabilen Natur nachgebildet, grüne Stengel wachsen von innen nach außen. Die Helldunkel-Kontraste zwischen dem Baumstamm und dem Kleid, sowie die Gegensätze zwischen Natur und Kunststoffkleid verstärken die Sichtbarkeit und machen die Intervention zu einem künstlichen Denkmal für ein Naturdenkmal.
Ganz offensichtlich spielt die Intervention einerseits mit dem universellen Merkmal des Jugendstils, dem Floralismus. Die Kunst des Jugendstils lässt es auf Papier und Stoff, auf Lampen und Möbeln, in Holz und Silber, und in der Architektur wachsen, blühen und ranken. Ihre geheime, sehnsuchtsvolle Botschaft lautet immer: „Werdet wie die Pflanzen!“
Andererseits sind auch die archetypischen Motive aus Mythen, Märchen und Sagen unübersehbar. Baumsymbolik ist seit den Anfängen von Kunst und Literatur bezeugt. Schöpfungsmythen verschiedener Völker lassen Götter oder auch den ersten Menschen aus einem Blumenkelch oder aus einem Baum entstehen. Die Erscheinungsformen des Lebendigen sind auf sympathetische Weise miteinander verbunden und das gilt insbesondere für Mensch und Pflanze. Menschen, fast immer weibliche, können in Mythen und Märchen in Pflanzen verwandelt werden. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Bergnymphe Daphne, die sich auf der Flucht vor Apollon in einen Lorbeerbaum verwandelt.
Mensch und Baum sind in Klammers Intervention, jenseits aller Unterschiede, aus demselben Stoff gebildet, dieselbe zu ewig neuen Formen drängende Energie hält sie zusammen.
Heinrich Schwazer
Ein Gemeinschaftsprojekt der Kurverwaltung Meran in Zusammenarbeit mit Kunst Meran, der Gemeinde Meran, der Meraner Marketinggesellschaft sowie zahlreichen anderen Vereinigungen und der Beteiligung internationaler Künstler – Kuratiert von John K. Grande